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Werde ich je wieder die Alte? Ein Brief an mich selbst, 13 Monate später

Long Covid sorgte dafür, dass ich seit 8 Monaten nicht mehr arbeiten kann, da denkt man oft “Werde ich wieder die Alte sein?”
Long Covid sorgte dafür, dass ich seit 8 Monaten nicht mehr arbeiten kann, da denkt man oft “Werde ich wieder die Alte sein?”

Trigger-Warnung

Ihr lieben, hier habe ich einen Text, den ich im November 2021 schrieb. Und ich muss sagen: Er hat mir nie wirklich gefallen, denn sein Grundtenor ist negativ, eher schon fast "hoffnungslos", ich hing damals noch sehr an der Vorstellung, ich könnte wieder zurück zu meinem Leben vor der Infektion. Und, dass ich es nicht konnte, machte mich fertig. Aber dennoch ist er super interessant, denn ich beschreibe auch klar meine Postcovid/Longcovid Symptome und meine Erfahrungen mit manchen Ärzten.

 

Ich war in der Hilflosigkeit gefangen. Und realisierte erstmals: Vielleicht schaff ich es nicht, zurück zum alten Leben zu kommen. Eine damals grausige Vorstellung für mich. 

 

ABER heute liegen 13 Monate zwischen mir und meinem Text und es ist eine Menge Strecke vergangen. Ich konnte meine Wiedereingliederung zumindest bis auf 4h ohne Symptome durchziehen und arbeite nun in Teilzeit. Sogar mittlerweile 5,5 Stunden pro Tag seit Dezember. Ich bin in der Lage, meine Maus in die Schule zu bringen und abzuholen. Das war es, was am Tag möglich ist, aber es ist möglich und es gibt mir Kraft und vor allem: Zufriedenheit. 

 

Der Blog stellt die Frage "Werde ich je wieder die Alte?" ich beantworte sie mir selbst im Update am Ende des Blogs.

"Werde ich je wieder die Alte?" (Text aus November 2021)

Ich glaube es ist total normal, sich den Zustand zu wünschen, den man vor einer Krankheit hatte. In meinem Fall war es ein 35 Stunden/Woche Job, tolle Projekte und ein erfülltes Familienleben mit Kindergartenkind. Ich hatte immer viel zu tun, aber habe es nicht bewusst als Belastung empfunden, denn meine Energie war selten ein Problem, meine Motivation hoch.

 

Bereits Monate vor meiner Covid-Infektion fing für mich ein Herzensprojekt auf Arbeit an, während die Kita-Schließungen und Home Office Möglichkeit für mehr Zeit mit meiner Kleinen sorgten - natürlich war das auch Lock Down Stress pur, den wohl die meisten Familien absolut nachvollziehen können. Aber alles in allem merkte ich nicht, dass ich auf ein energieloses Loch zusteuerte. Durch Corona änderte sich mein Leben innerhalb weniger Tage und durchzog die letzen Monate einen langen Weg, auf dem besonders mein Kopf mir große Sorgen bereitete. Meine Herzbeutelentzündung war etwas, das diagnostiziert wurde, auch die Fatigue hatte ich akzeptieren können, aber diese Konzentrationsstörungen? Andere bezeichnen es als "Brain Fog" - Nebel im Kopf. Für mich war es eher wie ein kaputter Handy-Akku. Kennt ihr das, wenn der Akku nur noch 1% hat und auf einmal alle Aps so langsam laden? Jeder Text, den man tippt, kommt zeitversetzt erst an und am Ende - Crash. Nichts geht mehr. 

 

 

Mein Akku ist kaputt - mein Kopf bekommt keine Energie mehr

Von Wortfindungsstörungen über Konzentrationsunfähigkeit bis hin zu koordinativen Schwierigkeiten, merkwürdigen Muskelschmerzen, migräneartige Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, ein Brennen in den Armen und Beinen oder auch wirklicher Vergesslichkeit ("Warum bin ich gerade in die Küche gegangen?") und gegen Türrahmen laufen, Gläser greifen und dann fallen lassen - es war gefühlt alles dabei. Ich wusste nicht, wie ich mich als 70 Jährige Demente fühlen würde, aber irgendwie kam das dem doch ganz nahe. Auch Memory spielen mit meiner Tochter ging nicht mehr. Ihr ein Kinderbuch vorlesen -wenigstens eine Seite? Funktionierte nicht. Es war, als wäre da oben keine Energie mehr für irgendwas übrig. Ich wollte nur noch schlafen, und das ging Monate. Das Problem: Während ich körperlich leicht fitter wurde, durch Pacing und da meine Herzbeutelentzündung ausheilte, wurde meine Konzentration nicht besser und ich stelle mir die Frage: Werde ich je wieder die Alte sein - beziehungsweise die Junge wie vor Covid?  

Diagnose: ?

Es ist schwer, wirklich eine Diagnose zu erhalten. Es gibt viele Theorien und Studien zu Long Covid, wer betroffen ist, kann sich in der  Long Covid Facebook Gruppe auf dem aktuellen Stand halten.

 

In meiner Long Covid Ambulanz konnte ich einen Gedächtnisleistungstest machen, bei dem klar wurde, dass vor allem mein Arbeitsgedächtnis beeinträchtig ist. Aber woher kommt es? Wahrscheinlich autoimmune Prozesse. Wann geht es wieder weg? Man muss geduldig sein. Geduld ist in der Tat nicht unbedingt meine Stärke. Ich harre nicht gerne der Dinge aus, ich möchte aktiv etwas gestalten, ansonsten verzweifle ich in gefühlter Hilflosigkeit. 

Gefühlte Hilflosigkeit

Während durch die Diagnose der Herzbeutelentzündung ich in der Reha und bei Ärzten mich sehr "ernst genommen" fühlte, war dieses Gefühl bei dem Neurologen weg. „Meine Aufgabe als Neurologe ist es, andere neurologische Krankheiten auszuschließen, aber alles, was sie sagen, passt zu Long Covid“ - ehm Danke, aber helfen tut das nicht!  Gefühlte Hilflosigkeit breitete sich gerne bei solchen Terminen aus. 

 

Doch die große Frage, die mir auch oft gestellt wird: Selbst wenn sie wissen, was es ist, wenn man nichts dagegen tun kann, wird Ihnen eine Diagnose nichts nützen. Doch ich frage mich hier: Es KÖNNTE doch aber etwas nützen, wenn es eine Diagnose ist, bei der man etwas tun KANN! So wie bei meiner Leistungsschwäche mit Herz und den den Nährstoffmangeln. 

 

Leider gilt oft, dass Ärzte Long Covid noch wegwischen. In der Long Covid Facebook Gruppe gibt es viele, die ähnliche Erlebnisse bei Ärzten teilten...

 

 

Und so endete dieser Text. Als ein Entwurf.

 

Januar 2023: Ein Brief an mich selbst

Liebes, ich weiß, es ist so schwer, nicht mehr zu haben, was man hatte. Nicht mehr zu sein, der man war. Ich weiß wie frustrierend es für dich war, dass die Ärzte einfach nur ein "Long Covid" auf deine Symptome gestempelt haben und dann nichts weiter passierte. Du wolltest so sehr die Alte sein, du wolltest so sehr - um alles in der Welt- zurück in dein altes Leben.

 

Dabei merktest du doch, wie wundervoll auf einmal der Sommer war. Endlich abschalten, keine Verantwortung, keine Meetings, keine großen Projekten, kein "Auf Claudia ist immer Verlass" - du spürtest doch klar, wie stressig dein altes Leben war. 

 

Immer 120 Prozent geben, im Job und in der Familie. Und wie oft hast du deine Maus als letzte aus der Kita geholt, nur um zwei Stunden später wieder am PC zu sitzen und bis Mitternacht weiter zu arbeiten, weil dein Herzensprojekt auf Arbeit unbedingt diese oder jene Deadline einhalten sollte.

 

Dein Leben war auf der Überholspur und du zogst alle in deinem Umfeld mit - mit auf dieses Tempo.

 

Dann wirst du krank, dein Körper vollkommen ausgelaugt von der Corona Infektion und ein leises Stimmen im Kopf fragte sich "Wäre es nicht auch ein Burnout geworden, wäre Corona dem nicht zuvor gekommen?"

 

Ja ich weiß, du kannst dir das nicht vorstellen. Du warst doch so glücklich in deinem Leben, so happy, dass du unbedingt alles daran setzen willst, zurück dahin zu gelangen.

 

Doch wie wenig hast du im Moment gelebt, einfach die Sonnenstrahlen auf deinem Gesicht genoßen? Wie stark warst du gehetzt von deinem Alltag? Wie stark hast du vorgearbeitet, um zwei Tage die Woche den Nachmittag dir frei nehmen zu können, damit du "genug" Zeit mit deiner Tochter hast.

 

Und wie sah dein schlechtes Gewissen aus? Immer präsent, du bist nicht genug, du leistest nicht genug.

 

 

Das ist das Leben, zu dem du zurück möchtest? Das ist die "Alte", die du wieder sein willst?

 

 

Es reisst dich in die Depression, wenn du weiter so agierst. Erinnerst du dich nicht an den emotionalen Zusammenbruch in der Reha? Als du von der Infektion und all den Folgen sprachst? Dass du diese Hilflosigkeit spürst, dass du so sehr daran festhängst, zurück zu wollen zum "Alten Ich" reisst dich in die Depression. Spürst du das?

 

Ja das tust du. 

 

Aber Liebes, 

 

du musst das nicht. Du wirst erkennen, das du loslassen musst, um diesen Strudel an Verzweiflung zu bezwingen.

 

Nein, du bist nicht wieder die Alte. Auch ein Jahr später nicht. 

 

Nein, du wirst auch nicht wieder die Alte sein. Auch Jahre später nicht.

 

 

Warum? Wie könnte ich jetzt schon wissen, ob ich nicht in einem weiteren Jahr wieder all das machen kann wie früher?

 

 

Weil ich es nicht mehr will, Liebes. Weil diese 13 Folgemonate mich prägten. Meine Sicht auf die Dinge. Mittlerweile schaffe ich es, in Teilzeit wieder meinen Pflichten nachzukommen und mittlerweile spüre ich wieder den Spaß und die Leidenschaft an meinem Job. Und ja, es kitzelt in den Fingern, zu versuchen, ob man das alte "Abends noch mal an den PC setzen" wieder schaffen könnte. Aber nein, ich kann es nicht. Und nein, es ist nicht mehr schlimm! Es ist ok so wie es ist! Und seitdem ich akzeptiere, was ich kann, seitdem geht es mir gesundheitlich und mental besser damit. Es war wichtig, das Alte Leben loszulassen. Und nein, es ist keine Resignation. Es ist das Gespannt sein auf die Dinge, die da kommen mögen. 

 

Das wirst du noch verstehen. Auf deinem Weg. 

 

Aber auch, wenn ich dir ein Nein sagen muss, auf deine Frage, ob du wieder die Alte sein wirst. 

 

 

Dennoch:

 

 

Es wird alles gut.

 

 

Ich wiederhole es für dich:

 

Es

 

wird

 

alles

 

gut.

 

 

Denn du bist stark und in der Lage, dich deinem Energielevel anzupassen. In der Lage, ein Leben zu gestalten, das dich nicht in Crashs reitet und dir dennoch Lebensfreude bringt.

 

Dein Körper erholt sich.

 

 

Nein, nicht so wie früher.

 

Aber er erholt sich auf ein Level, das dir Zufriedenheit bringt. Und Zeit, Zeit um die Momente des Lebens zu genießen, Zeit mit deiner Tochter.

 

Du wirst lernen zu verzichten: auf Geld, auf große Aktivitäten, auf die ausgedehnten Bürotage und späten Abende, an denen du noch an Konzepten gesessen hast (und es geliebt hast, ich weiß). Du wirst verzichten lernen und es wird dich nicht mehr schmerzen.

 

Denn dein "altes" Ich ist vorbei. Aber weißt du was: Du veränderst dich stetig. Und all die Herausforderungen, die du bis jetzt meisterst, lassen dich weiter wachsen. Und 11 Monate später blickst du nicht zurück und bist traurig, "immer" noch nicht die Alte zu sein. Du bist stolz, stolz auf dich und deinen Weg. Und ein bisschen entdeckst du, dass du in Momenten auch wieder "die Alte" bist, dass du in Meetings eine Konzentration abrufen kannst, wie früher. Dass du auf Arbeit für zwei Stunden dich so tief konzentrieren kannst, im Flow bist, wie früher. Dass deine Leistung auf Arbeit so ist wie früher.  Nur die Stunden, die du sie abrufen kannst, sind begrenzt.

 

Aber das alles ist ein Weg, ein Weg, der so spannend und lehrreich ist, dass ich heute dankbar bin für all die Erfahrungen.

 

Also du siehst: nein, du bist nicht mehr die Alte, aber Teile davon sind zurück. Teile deines alten Lebens sind zurück. Nur du kreierst dir etwas Neues. Etwas, das deinem neuen Ich entspricht. 

 

Also Kopf hoch. Du schaffst das! Es wird alles gut! 

 

 

Kleines Silvester-Update:

Heute kann ich sagen: die "Alte" Claudia in mir ist mit ihren Ansprüchen und ihrem Ehrgeiz zurück. ABER sie ist nun ein Teil von mir. Neben andere Teilen, die ebenso Ansprüche und Wünsche haben. Alles wird sich finden, davon bin ich überzeugt :)

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Kommentare: 1
  • #1

    Franzi (Donnerstag, 05 Januar 2023 20:17)

    Ohhh da kann ich mich so gut drin wiederfinden. Als Alleinerziehende muss es nochmal schwerer sein :/ Kopf hoch, Du schaffst das!