April-Mai-Juni-Juli-August-September-Oktober-November-Dezember.. all die Monate kranksein machen etwas mit einem selbst und challengen das eigene Mindest. Vorher habe ich mich als achtsamen, positiven Menschen gesehen, doch plötzlich war diese Krise in meinem Leben, plötzlich hatte ich gefühlt das Leben einer 70-jährigen (wobei ich hoffe, dass ich mit 70 noch fitter sein werde) und ich fühlte mich hilflos, machtlos und vollkommen abhängig von anderen. Es gibt viele, denen es genauso geht oder erging. Ärzte hatten noch letztes Jahr oft psychische Ursachen für die Long Covid Beschwerden attestiert, Antidepressiva verschrieben und Patienten so "abgetan". Gefühlt ändert sich das Bild mittlerweile, aber es ist definitiv weiterhin eine psychische Belastung, nicht zu verzweifeln. Hier meine 3 Phasen, was ich dabei gedacht habe und wo ich mich gerade befinde.

Phase 1: Hilflosigkeit - Warum wird es nicht besser?
Von: Man was war die Infektion krass! Ich bin so froh, dass ich endlich negativ bin und aus dem Krankenhaus raus darf! Es ist überstanden! Juhu! Jetzt noch 1-2 Wochen ausruhen und dann kann ich endlich wieder arbeiten gehen!
Hin zu: Warum verflixt wird das nicht besser? Das ist so frustrierend! Ich habe das Gefühl, ich bin 70 und komme aus dem Bett nicht raus - halt! Meine 90 jährige Oma war fitter als ich! Und auf Reha kann ich nicht mal mit dem 60jährigen Herzinfarkt-Patienten mithalten beim Herz-Kreislauf-Training (eine Runde um die Klinik in Schritttempo). Gehts noch? Ich könnt heulen, schreien, wüten und die Welt verfluchen - wenn ich die Energie dafür hätte. Das ist so ungerecht, wieso passiert mir das? Ich will das nicht!! Ich bin so unfähig, ich kann nicht mal den Haushalt machen oder geschweige denn mein eigenes Kind betreuen, nicht mal mit ihr auf den Spielplatz kann ich.
Meine Erste Phase war geprägt von Naivität oder einfach einer Erwartung, die ich über 20 Jahre von mir selbst hatte: Ich werde krank - es wird schlimmer - ich muss ggf. ins Krankenhaus - es wird besser - ich darf nach Hause - ich werde immer fitter - ich bin wieder gesund - mein Leben geht weiter wie bisher. Dann vergingen die Wochen und die Monate, eine Diagnose reihte sich an die andere. Die bisherige Erwartung, dass ich wieder die Alte werde, wurde von Monat zu Monat enttäuscht und ein Gefühl war besonders stark: die eigene Hilflosigkeit. Doch dann wurde sie zu Wut:

Phase 2: Kampf - Wieso werde ich nicht wieder die Alte? Ich muss es nur stark genug wollen!
Wieso können mir die Ärzte nicht helfen? Warum nimmt mich keiner ernst? Ich muss es selbst in die Hand nehmen, "own your shit!" ich werde jedes Bündchen Energie dazu nutzen, mir selbst zu helfen statt in Selbstmitleid zu vergehen! Long Covid du kannst mich mal!
Ich war in Kampfstimmung - durch und durch. Arzttermine beschritt ich mit einem dicken Ordner voller Unterlagen (MRTs, Krankenhausgutachten, Fatigue-Scores, Patientenleitlinien, eigenen Notizen, Symptomtagebuch und und und). Jeder Arzttermin war - so gut ich Energie hatte - vorbereitet. Und ich ging gleich mit der Erwartung in den Termin, dass ich Probleme haben werde, ernst genommen zu werden. Mein Glück (im Vergleich zu vielen anderen) war meine damalige Herz-Thematik, durch die ich Beachtung bekam - auch ohne Probleme eine Reha (als Herzpatient wohlgemerkt). Selbst als ich mich auf den Weg des Pacings begab und verstand, dass Fatigue zum Krankheitsbild gehört, war ich immer noch auf Konfrontation gestimmt. Ich denke, ich habe es meinen betreuenden Ärzten nicht einfach gemacht. Aber so manche Blutuntersuchung, MRT oder Ernstnahme der Symptome waren für mich gefühlt nur durch Druck und Diskussion zugänglich. Hat es mir im Nachgang etwas genützt? Ja, Eisenmangel, B12 Mangel, Herz-MRT - es war berechtigt, dass ich für meine Sache einstand. Ich kam durch diese Kraft heraus aus meiner Hilflosigkeit. Ich hatte das Gefühl, etwas mehr Kontrolle zu erlangen. Doch je mehr ich erfuhr, desto öfters wurde ich in Phase 1 zurück katapultiert.
Fakt für mich war nur: Ich hatte nicht die Energie, um diese Phase Monatelang durchzuhalten. Diese innere Anspannung verstärkte manchmal sogar meine Symptomatik.
Phase 3: Akzeptanz und Loslassen - Nicht mehr die Alte sein, ist nicht ok!

Ok, ich habe Long Covid, ok, ich bin genesen, aber nicht gesund. Und ich habe einen Weg vor mir. Mein Altes Leben ist eine Erinnerung - natürlich auch eine Motivation - aber ich akzeptiere, dass ich hier und jetzt keine Heilung erzwingen kann. Ich akzeptiere, dass ich Zeit brauche und vor allem: Geduld mit mir selbst. Und ich akzeptiere: ich werde nicht mehr die Alte sein. Ich sage ihr Good Bye .. diese Phase meines Lebens ist vorbei. Ich gebe den Standard auf, mit dem ich mich monatelang frustriert verglichen habe. Nun gilt: Wie geht es mir aktuell? Wer will ich sein, wie kann ich glücklich sein mit dem, was ist.
Seine aktuelle Lage zu akzeptieren, heißt nicht aufzugeben! Aber einen so langen Weg im Sprint und ohne Pausen gehen zu wollen, ist unrealistisch. Ich musste lernen, auch andere Dinge in meinen Kopf zu lassen als die Krankheit, um die sich - neben meiner Tochter - ein Großteil meines Tages und meiner Gedanken drehte. Ich begann damit, zu akzeptieren, dass mein Weg lang ist und ich keinen Sprint daraus machen kann. Ich begann zu akzeptieren, dass ich mein Ziel (die Alte werden), nicht erreichen kann, indem ich mich nur stark genug anstrengte. Ich akzeptierte meinen Zustand und ich begann, locker zu lassen, mehr im Moment zu sein. Zu dem Zeitpunkt war Sommer 2021 und es war herrliches Wetter in Hamburg. Ich versuchte, die Sonnenseite zu entdecken und ich fing an, auch zu erkennen, was in meinem vorherigen Leben (also das Leben vor der Infektion, als ich noch die "alte" war, zu der ich unbedingt zurückkehren wollte) nicht so gut lief, wie ich es vielleicht glaubte. Ich erkannte, welchen Bereichen meines Lebens ich weniger Beachtung geschenkt hatte. Da ich nichts lesen konnte und mich auch so nicht mit Wissen außerhalb meiner Long Covid Welt beschäftigen konnte (schließlich hielt ich mich auf dem laufenden und brauchte dafür Energie), ging ich in den Tag ohne den Kopf anzustrengen. So hatte ich das erste Mal seit langer Zeit mir die Zeit genommen, an einem Vormittag im Sessel zu sitzen und einfach nur die Sonne auf meiner Haut zu spüren - und es zu genießen. Die Wut auf die Krankheit ließ ich los. Und ich gab mir selbst die Befreiung: vor Herbst werde Ich wohl nicht gesund. Das nahm mir den Druck. Der Herbst war noch zwei Monate entfernt. Ich bekam erste Erfolge durch das Pacing, ich konnte meine Tochter zu ihrem Schwimmtraining bringen (nur hin, zurück musste sie abgeholt werden, während ich mich ausruhte und allein nach einer Weile nach Hause fuhr und den Rest des Tages ruhte) und ich schrieb jeden Erfolg auf. Es war, als würde mit dem Loslassen die Besserung eintreten. Aber sie war schrittweise. Dann kam die Impfung im August, die Reha im September und der erste Konzentrationserfolg: 20 Minuten konnte ich am Stück mich konzentrieren! Das war ein grandioser Erfolg. Ende der Reha war es einmalig 1,5 h! Dann war erst einmal wieder Ruhe, bis ich Ende November für mehrere Tage immer 1h am Stück mich konzentrieren konnte. Dazwischen waren Rückfälle. Aber mit dem Akzeptieren, dem Durchatmen und dem Loslassen alter Standards verringerte sich mein Leidensdruck. Ich muss nicht mehr die Alte sein. Ich kann ihr Goodbye sagen und mich auf einen neuen Abschnitt im Leben freuen. Jede 30 Minuten Konzentration wurden ein Erfolg, die Wiedereingliederung im Januar begann auch hier sehr langsam, aber stetig. Ich blicke zurück auf die Wutphase und weiß: Sie war wichtig, aber ich weiß auch: mit Wut im Bauch lässt sich nicht heilen.
Ein Jahr später
Das ist nicht abgeschlossen, es ist ein Weg. Ich vermisse oft den "alten Weg" und der neue ist einfach keiner, den ich gewählt habe. Aber ich kann wählen, wie ich ihn bestreite und ich kann wählen, kleine Erfolge zu sehen und bei Rückfällen gnädig mit mir und der Welt zu sein. Nach einem Jahr blicke ich zurück und muss sagen: Es gibt viel, was ich gelernt habe, Menschen, die ich getroffen habe und Erlebnisse, die ich ehrlich gesagt gar nicht missen möchte. Es macht mich zu der, die ich gerade bin und ich bin neugierig, wie fit ich noch werden kann. Natürlich machen Fortschritte diesen Weg erträglicher, aber ich glaube auch, dass mit dem Loslassen ein Schritt Genesung stattfinden konnte. Und gut ist, dass ich auch immer wieder in Phase 2 zurückfalle, um mir ein weiteres Stück "Freiheit" zurück zu holen.
Denn kleine Sprints bringen mir neue Ideen, was ich neues versuchen kann und ob das auch helfen würde, einen weiteren Meilenstein zu schaffen.
Die Möglichkeit der Konzentration, sich selbst versorgen können, die Tochter selbst von der Kita holen können, wieder etwas Arbeiten können (nicht viel) - ist für mich nun ein wertvolles Gut, für das ich dankbar bin. Dankbarer, als mein altes Ich es je sein könnte.
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