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Die Krankheit als Neubeginn

Eine so langanhaltende Krankheit ist eine Krise. Das wollte ich lange Zeit nicht wahrhaben. Ich wollte schnellstmöglich zurück in mein altes Leben und "die Alte" werden. Aber mit jedem Monat, an dem ich daran festhielt, wurde es für mich nur noch erdrückender.

 

Ich konnte meine Situation nicht so ändern, dass ich zurück zum Alten kam, also musste ich meine Einstellung ändern.

 

Erst als ich akzeptierte, dass ich in einer Krise bin, die einen Umbruch für mich darstellte, konnte ich beginnen, das Ganze als eine Herausforderung statt einer mir auferlegten Bürde zu begreifen. Ich konnte aus der Phase "Warum nur passiert mir das?" heraus kommen, in dem ich dem Ganzen eine Antwort gab.

 

Von: Warum nur passiert mir das?

Jetzt wird es ein wenig philosophisch, deshalb passt das gut in die Rubrik "LoCo Soul" ;-). Ich glaube, dass wir Krisen in unserem Leben einen Sinn geben müssen, um sie gut zu überstehen. Nur so können wir es annehmen statt dagegen zu kämpfen. Wir können in der Krise wachsen statt in ihr einzugehen.

 

Manche sehen in dem Sinn, einen unergründlichen Willen Gottes, andere nennen es Schicksal oder Universum. Spirituell kann man noch weiter gehen: Wir selbst haben uns diese Krise ausgesucht. Jetzt kommt sicher die Frage "Was? Nie im Leben habe ich mir so eine Krankheit ausgesucht!". Sicher, nicht bewusst. Aber für die, die sich selbst als im Endeffekt nicht nur Akteur ihres eigenen Lebens begreifen, sondern auch als Schöpfer, für die kann so eine Sichtweise etwas befreiendes haben: Wir hören auf in dem Opfermodus zu sein. Wir geben nicht mehr anderen die Schuld (oder dem Universum, Gott whatever) für unsere eigene Situation, sondern gehen dazu über, uns mit unserer eigenen Lebensweise vor der Krankheit zu beschäftigen.

 

Statt wie wild zu versuchen, zurück zur alten Realität zu gelangen, könnten wir uns auch damit auseinander setzen, ob das Alte damals wirklich dienend für uns war? Wie viele ungesunde Lebensweisen hatten wir? Was für undiagnostizierte Krankheiten schlummerten ggf. in uns? Was haben wir getan, um unseren Körper gesund und fit zu halten?

 

Diese Sichtweise sollte nicht dazu führen, dass man ein "Selbst Schuld, Pech gehabt!" als Fazit zieht (denn dann ist es nicht hilfreich). Sondern, dass wir erkennen, dass wir eine laaange Atempause bekommen haben. Zeit. Wir bekamen Zeit.

 

Wie viele waren Monatelang krank geschrieben und kamen ggf. kaum aus dem Bett. Ich habe die Zeit zum Reflektieren genutzt und überlegt: Wenn ich wieder etwas mehr Energie habe, was mache ich dann zuerst? Habe ich früher meine Energie eigentlich eingesetzt für die Dinge, die ich liebte?

 

Zu: Unsere Energie ist unser höchstes Gut - nur was uns wichtig ist, hat sie verdient

Wie oft steckten wir im Alltag in einem Hamsterrad fest? Was haben wir wirklich aus tiefster Seele gern macht und was taten wir aus purem Pflichtbewusstsein heraus? 

 

Wenn der Körper so runterfährt wie bei der Fatigue und man nur noch einen minimalen Akku im Vergleich zu früher hat, dann ist das doch eine Chance, sich genau zu überlegen: Wofür setze ich meine Energie ein? 

 

Zum Beispiel konnte ich lange Zeit nichts lesen, die Konzentration war nicht dafür da. Als ich dann wieder zehn Minuten lesen konnte, war die erste Priorität, meiner Tochter eine Geschichte wieder vorlesen zu können. Es waren die schönsten zehn Minuten des Tages und alle Energie wert. 

 

 

Die Lektionen, die wir während der Krise lernten, werden uns ein Leben lang in Erinnerung bleiben.

Was man wertzuschätzen lernt, ist von unschätzbaren Wert. Auch wenn jetzt vielleicht die Angst kommt: "Ich werde aber all das nicht wieder haben": Es muss nicht immer genau das sein, was man früher hatte. Es können neue Momente kommen. So war es für meine Tochter und mich das Hörbuch hören, wenn nichts mehr ging. Und auch heute noch ist es das in der Sonne sitzen auf unserem Balkon und miteinander kuscheln. Dinge, die wir sicherlich früher auch getan haben, aber ihre Intensität hat sich vervielfacht. 

 

Zu lernen, dankbar zu sein für die Momente, die uns das Leben auch in tiefster Krise gibt, hilft. Es hilft so ungemein durch eine Krise zu kommen. 

 

Aber diese Krise endet nie!?

Doch, das tut sie. Sie verändert uns und gibt uns in einen Wandel. Dieser Wandel dauert und braucht seine Zeit. Aber wir werden an einen Punkt kommen, an dem wir wieder zufrieden mit unserem Leben sind. Wir sind dann nicht mehr in dem Leben, das vor der Krise war. Aber wir haben die Kraft - daran glaube ich fest - dass wir uns einen Alltag erschaffen können, der uns mit Momenten erfüllt. Wir müssen sie nur sehen können. Und unsere Sicht auf die Dinge ändert sich, wenn wir die schweren Tage als den Beginn etwas neuen erachten. Denn "aller Anfang ist schwer". 

 

Man selbst im Wandel

So richtig verstanden habe ich es erst seit ein paar Wochen: nicht nur das eigene Leben ist auf den Kopf gestellt, die eigene Person wandelt sich mit ihm. Die Erfahrungen zeichnen und prägen uns. Auf der Reha konnte ich sehen, was dies mit Menschen machte. Im Endeffekt sah ich zwei Gruppen: Die einen schienen "aufgegeben" zu haben in dem Sinne, dass sie sich ihrer eigenen Fähigkeiten aufgaben. Sie warteten darauf, was die Ärzte ihnen verschrieben, gingen zwar zu den Sitzungen, aber sie taten alles, weil von außen der Impuls kam und sie schimpften auf die Pfleger, die Therapeuten und die Ärzte, dass ihnen nichts so wirklich helfen will. Auch war das Essen nicht gut genug, das Zimmer schrecklich und so weiter. Ihre Ausstrahlung - die negative Energie - ging von ihnen aus, ohne dass sie auch nur ein Wort sagen mussten. 

 

Und dann gab es die andere Gruppe. Sie scherzten, obwohl sie Krebs, Herzinfarkte und chronische Krankheiten hinter sich hatten oder noch zu bewältigen haben. Sie sahen das Positive im Moment. Sie machten bei allen Sitzungen mit einem Schmunzeln mit und sie beklagten sich nicht. Es war energiereich, mit ihnen im Raum zu sein. Gerne gingen sie kleine Wettbewerbe ein - wenn man mit ihnen in der Herzsport-Gruppe war, musste der Therapeut oft schauen, dass sie nicht - aus Spaß am Spiel - beim Hallenhockey übermütig wurden. Und auch ich musste oft keuchend auf der Bank sitzen, weil mein Herz mit den 60-jährigen Herzinfarkt-Patienten oft nicht mithalten konnte und sie mich zu Grund und Boden spielten. Aber es war jedes mal eine Freude, sie zu beobachten. Sie waren wie Kinder. Sie nahmen die Situation an und spielten und scherzten.

 

Sicherlich waren Krebs und Operationen auch für diese Gruppe Menschen nicht leicht! Und auch Fatigue hatte die ein oder andere. Aber sie alle vereinte dennoch eine positive Energie. Sie machten das beste daraus, und dieses Verhalten strahlte auf ihren Charakter und ihre Energie ab. Man wollte gerne in ihrer Umgebung sein. 

 

Ich war damals zwischen beiden Gruppen. Meist grenzte ich mich ab und traf auf sie nur in den Sitzungen. Der Rest der Zeit war für mich lediglich ausruhen, weil das Program für mich sehr hart war. Aber die positive Gruppe war eine Inspiration für mich, wie ich dem Ganzen begegnen möchte. Sie zeigte mir, dass ich positiv bleiben möchte bzw. wieder werden will. Ich traf die Entscheidung dazu.

 

 

Der Wandel ist der Neubeginn

Es gibt kein Ziel am Ende eines Weges. Es gibt nicht die Heilung für Long Covid (bis jetzt;). Das alte Leben ist nicht der Maßstab aller Dinge. Es ist der Wandel, der läuft. 


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