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Die Innere Kriegerin

Chronische Krankheiten zermürben psychisch - bei so vielen Punkten. 

 

Am Anfang war es in mir die eigene Ungeduld, die dafür sorgte, dass ich mich nie wirklich zur "Ruhe" bringen konnte. Es gab immer den Antrieb, zurück zum alten Leben zu finden, zurück zur "alten Claudia". Anfangs konnte ich mir noch nicht einmal vorstellen, dass ich länger als vielleicht vier Woche krank sein könnte. Ich glaube, drei Wochen war auch die längste Zeit bis dato, die ich bis dato an einem Stück arbeitsunfähig geschrieben war. 

 

Und dann vergingen die Wochen (die Ungeduld wuchs), es vergingen die Monate (der Frust stieg) und dann kam der Wiedereingliederungsversuch und er scheiterte .. es war wie ein "Aufgeben", ein "Scheitern", eine schreckliche Niederlage. Psychisch schwer zu verarbeiten.. Doch ich schaffte es, diese eigene Kämpferenergie umzupolen:

Von der Wut gegen sich selbst ...

Zu Ostern 2021 hatte ich meine Corona-Infektion und es dauerte Wochen (mit kurzem Krankenhausaufenthalt), bis ich das Gefühl hatte, Corona überstanden zu haben. 

 

Doch dieses Schwächegefühl blieb - und Brustschmerzen während kleinster, minimaler Anstrengungen. Während ich also körperlich noch absolut labil war und mein Körper mir eigentlich sämtliche Signale schickte, mich richtig richtig auszukurieren, (Reminder Leute: Kuriert euch aus, nehmt euch die Zeit zum Genesen!) steckte ich all meine Energie darein, mich zu "pushen" und endlich wieder "fit" zu sein. Ich konnte mir damals null vorstellen, dass Corona der Anfang eines komplett neuen Kapitels in meinem Leben wäre, dass ich (bis heute) nicht wieder zurück bin in meinem "alten" Leben und gar nicht mehr die "alte" Claudia komplett sein möchte. 

 

Im Mai schon wollte ich zurück in den Job (jaa ich wähle bewusst das Wording "schon", auch wenn manche sich vielleicht denken: gesamter April krank und dann Mai erst wieder Arbeiten, ist doch schon eine lange Zeitspanne). Zum Glück wusste ich von einer Kollegin, dass ich über stufenweise Wiedereingliederung (Hamburger Modell) schrittweise in den Job zurück kann und nicht gleich von Woche 1 an meine volle Wochenzeit leisten brauche. Ich glaube ich startete mit 4 Stunden pro Tag und dann sollte es in Woche 2 schon mehr Stunden sein. Aber im Endeffekt hielt ich nicht lange durch. Ich habe versucht, die gesamte Woche durchzuhalten, aber von Tag zu Tag ging es mir schlechter.. Am Ende gab es einen riesigen Crash, von dem ich mich ein Jahr nicht mehr erholte - ich konnte DANACH nicht mehr lange lesen, ich konnte DANACH weniger als eine Stunde pro Tag mich konzentrieren.. zehn Minuten gingen dann auf einmal nur noch.. so viele Dinge, die vor dem Crash sogar noch gingen und nach dem Crash einfach mal wesentlich weniger waren.

 

Mein Gott war ich wütend

 

 

wütend auf ...

 

 

mich selbst!!

 

 

Ich weiß noch, wie enttäuscht ich von mir selbst war, wie wütend, wie frustriert. Bereits in der Wiedereingliederungswoche sagte ich mit ständig innerlich "Verdammt, wieso kannst du das nicht mehr? Was ist nur los mit dir!?" - ich war unglaublich voll mit negativer Energie und es war, als würde ich gegen mich selbst kämpfen. Als würde ich die letzte Energie, die noch übrig blieb, sogar noch gegen mich selbst wenden!

 

Doch dann kam der Wendepunkt: Dann kam meine Herzbeutelentzündungs-Diagnose und ich war endlich gnädig mit mir selbst. All meine Schwäche, mein Erschöpfungsgefühl und meine Brustschmerzen schob ich nun einzig und allein auf das Herz und erstmals stand ich mir mehr Zeit zu, denn so eine Herz-Erkrankung ist schließlich was total ernstes. Endlich atmete ich aus und pushte mich nicht mehr. Es war, als hätte ich den inneren Kampf mit mir selbst beendet. Und ich war ruhiger. 

 

Und dann - an einem Sommertag - schickte mein Chef mir einen Podcast, der mir eine Mentorin in meine Situation brachte, die gefühlt der Startpunkt meiner echten Genesungsreise war: Die Interviewte erzählte von einer Long Covid Ambulanz, bei der man sich melden kann. Und sie sprach von Fatigue und dem Krankheitsbild Long Covid. ENDLICH wurde verständlich erklärt, was Long Covid eigentlich ist, was Pacing ist und dass es langsam angehen, NICHT sich selbst pushen und zu akzeptieren, dass es Zeit benötigt, viel Zeit. Mit neuem Wissen begriff ich, dass es Dinge gab, die ich jetzt tun konnte, damit es mir besser ging beziehungsweise auf was ich achten sollte. Ich meldete mich bei der Ambulanz an, damals gab es sogar noch freie Plätze (das änderte sich bald schon und die Wartelisten waren und sind voll)

 

Und dann gab es wirkliche Anknüpfungspunkte für meine Hausarzt-Termine. Es entstand eine sehr gute Kombination aus Long Covid Ambulanz Termine (monatlich) und anknüpfend die "Behandlung" meines Hausarztes - die Überweisung zu anderen Fachärzten um vieles abzuklären und auszuschließen. Es fühlte sich besser an.

 

 

 

Zur Wut gegen das Außen...

 

So wurde diese innere Wut, diese innere negative Energie, die ich zuerst gegen mich selbst wendete, eine innere Kraft, die ich nutzte, um mich durch die Arzt-Termine zu boxen und mich - vor allem bei der Vorstellung bei neuen Fachärzten - argumentativ zu positionieren, um ernst genommen zur werden. (Und JA es war schade, dass ich vorbereite Argumente brauchte, damit die Ärzte sich wirklich mit meiner Position beschäftigten und nein, es gelang mir leider in vielen Fällen nicht, erstgenommen zu werden, erst diese Woche hatte ich wieder so eine Erfahrung). 

 

Ich weiß, dass dieses Ernstgenommen werden eine Erwartung ist, die ich nicht so konsequent und bestärkt vertreten hätte, wenn ich nicht in der Long Covid Ambulanz einen Platz bekommen hätte. Wenn ich damals dort nicht ernst genommen worden wäre, hätte ich ewig gedacht, dass es "nur" mein Herz ist, was all meine Symptome  erklären könnte. Ich hätte mich wahrscheinlich gewundert, was Konzentrationsprobleme mit Herz zu tun haben und ich hätte irgendwann wieder inneren Frust aufgebaut, warum ich denn jetzt nicht wieder fit bin, wenn der Kardiologe bescheinigt, dass mein Herz komplett genesen ist. 

 

Mit dieser Bestärkung, dass Long Covid nichts eingebildetes ist, dass Crashs und Zustandsverschlechterung nach Belastung keine Faulheit sind und dass ich nicht "verrückt" werde, dass mein Körper sich nicht random immer neue Symptome "einbildet" - konnte ich eine innere Kriegerin entwickeln, die ich immer gefühlt neben mir sitzen habe im Arzt-Zimmer. Sie motiviert mich, voran zu gehen und Dinge abklären zu lassen.

 

Und oft stelle ich sie mundtot. Das letzte Beispiel sind z.B. meine Augen: müde Augen und Kopfschmerzen beim Lesen wurde dann immer mit "Fatige" an sich erklärt. Ich saß zwar bei einer Augenärztin, aber sie hat mich im Endeffekt über ein Jahr nicht wirklich ernst genommen. Erst über ein Jahr später fand sich eine kleine Diagnose im Auge, die nun weiter abgeklärt wird. Und da denke ich mir schon: Verdammt, warum hab ich die innere Kriegerin eigentlich in den Urlaub geschickt gehabt? Warum hab ich mich mit meinem Zustand abgefunden und bin nicht wirklich hartnäckig gewesen beim Augenarzt?

 

Hätte hätte Fahrradkette..

 

Ich glaube, es war gut, innerlich Frieden und Ruhe geschlossen zu haben mit seinem Status Quo. Es ist psychisch wichtig, nicht ständig auf Kampfmodus zu sein (und wenn es nur ein "Konfrontation" mit nicht ernstnehmenden Ärzten ist) - das stresst nämlich auch. Anzunehmen und gelassen zu sein, hilft, wieder runter zu kommen und da Long Covid ja auch mit überschiessendem Immunsystem erklärt wird (zum Teil, es gibt ja unterschiedliche Ansätze) macht es voll Sinn, sich selbst nicht ständig von einem Arzt zum nächsten zu pushen (oder - wie bei mir am Anfang - sich selbst einfach zu pushen und über eigene Grenzen zu gehen). 

 

 

Es ist wichtig, dass es Ruhe gibt.

 

Und ebenso wichtig ist es, für sich einzustehen und nichts zu akzeptieren, das andere einem versuchen einzureden. Einzureden, dass da nichts wäre, dass "alles ok ist" man "gesund" ist, nur weil die Untersuchungen nichts finden konnten. Es ist wichtig, auf seinen Körper zu hören, sich Ruhe zu gönnen, auch wenn es vielleicht gerade in dem Moment nicht DIE eine Erklärung gibt, warum man jetzt die Ruhe braucht. Es ist wichtig, für sich und seine Gesundheit zu "kämpfen" und sich auszuruhen. Kämpfen und Ruhen.. ein Balance-Herausforderung pur. 

 

 

Ich schätze es sehr, dass die innere Kriegerin da ist und bereit, mir Kraft zu geben. 

Ich bin gespannt, ob ihr das Bild nachvollziehen könnt und es vielleicht Ähnlichkeiten gibt zu eurer Story.

 

Und wen es interessiert, hier der Link zum Podcast

 

 

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